In seiner speziell für die Galerie ak2 entwickelten ortspezifischen Intervention zeigt der in Berlin lebende Künstler Felix Stumpf großformatige Cyanotypien. Weiße Linien und Flächen formen sich zu raumartigen Strukturen und bilden mit ihrer geometrisierenden Präzision einen auffälligen Kontrast zu dem fast „malerisch“ wirkenden blauen Hintergrund. Dank ihrer technisch-konstruktiven Anmutung lassen die Blätter an Architekturzeichnungen denken – unterstützt durch das Verfahren selbst: Denn bis in die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts hinein wurde die (auch als Blau- oder Eisenblaudruck bekannte) Technik zur Reproduktion von Bauplänen genutzt.
Ein genauerer Blick auf die Grafiken lässt modulare Strukturen erkennen. Tatsächlich dienten Felix Stumpf Ornamente aus dem Innen- und Außenbereich von Gebäuden der sozialistischen Moderne Ost-Berlins als Grundlage seiner Arbeit. Die strenge Ordnung der ursprünglichen Raster löst sich jedoch zugunsten freier, poetischer Strukturen auf. Und bei näherem Hinsehen entziehen sich die „Raummodelle“ auch den festgelegten Gesetzmäßigkeiten der zunächst assoziierten Architektur. Dank der Präsentation in den Schaufenstern des Projektraums wird stattdessen ein Bezug der grafischen Interpretationen zum urbanen Umraum hergestellt, der sich in den Glasflächen spiegelt.
Ähnliches gilt für die Holzbalkenkonstruktion an der schmalen Schaufensterfensterfront der Galerie ak2. Strukturen aus den Cyanotypien sind hier ins Dreidimensionale übertragen und erweitern deren Prinzip ganz real nach außen. Öffentlicher Raum wird exemplarisch einer künstlerischen Nutzung zugeführt und dessen sozioökonomische Kontrolle damit spielerisch unterwandert. Gemeinsam mit den grafisch aufgebrochenen Modulen – deren Ästhetik ja historisch eng mit einem repressiven System verbunden ist – lässt sich der künstlerische Eingriff als Kritik an einer Politik lesen, die von diktierten und profitorientierten Großbauprojekten sowie von Besitzansprüchen geprägt ist.
Die Innenräume der Galerie ak2 selbst erweisen sich in diesem Kontext als „Freiraum“ im Wortsinn. Denn obwohl es von außen aufgrund von Spiegelungen so scheint, als würden sich drei Balken der Außenkonstruktion innen fortsetzen, wird diese Erwartung nur von einer einzelnen Strebe erfüllt. Der Blick des Betrachters im Inneren fällt stattdessen auf die Rückseiten der Bilder – und auf den rohbauartigen Charakter des Raumes selbst. Mit seinen beton- und mauersichtigen Wänden suggeriert er eine auf längere Zeit hin ausgedehnte „Zwischennutzung“ und wird in seiner strukturellen Offenheit auch auf ästhetischer Ebene zum künstlerischen Labor. In einem Nebenraum findet über den Ausstellungszeitraum hinweg zudem ein Experiment mit der Belichtung von Cyanotypien statt, was den künstlerischen Forschungscharakter auch des Eingriffs selbst zur Anschauung bringt.
Der von Felix Stumpf gewählte Titel für seine ortsspezifische Intervention lautet: There is a crack in everything. Ganz offensichtlich ist der Text auf die Brüche bezogen, die Arbeit und Ort gleichermaßen kennzeichnen. Doch wird damit nur die halbe Wahrheit gesagt. Wer den Song Anthem von Leonard Cohen aus dem Jahr 1992 kennt, weiß, wie es dort weiter heißt: That’s how the light gets in. Offenbar geht es dem Künstler also gar nicht so sehr um die Brüche selbst. Vielmehr scheint ihn das Licht zu interessieren, das durch sie hindurch wahrnehmbar wird. Auf physikalischer Ebene macht es Arbeiten wie Cyanotypien erst möglich. Im übertragen Sinne werden „Schwellenräume“ (Stumpf) geöffnet, in denen Utopien zumindest temporär Realität werden können.

Text: Winfried Stürzl
© Photos Andreas Körner

Temporäre ortsspezifische Installation
Galerie ak2, Stuttgart 2017
Holzskulptur, 400 m × 170 cm × 200 cm
Cyanotypien, 100 cm × 70 cm